Der barmherzige Onkel aus Bayern

Was in Gottes Namen, wollte er schon wieder... von ihr, meiner armen Mutter?

Für uns alle galt die letzten Jahrzehnte eingeimpft, dass er der „liebe“ Onkel sei, obwohl ihn niemand von uns jemals ausstehen konnte, ob seiner Prahlerei. Schon immer fuhr er den teuersten Mercedes unter den Mercedessen, war erst seit kurzem Witwer & ein alter Fuchs mit vergoldetem Gehstock. Den trug er stets bei sich.

 

Für seine lange Anfahrt & sein selbstverständliches Kommen entsprechend des Anlasses des Gedenkens meines verstorbenen Vaters, ließ er sich den ganzen lieben langen Tag von meiner Mutter fürstlich kulinarisch bedienen und verwöhnen. Sein Zwischenstopp kurz zuvor am Grab meines geliebten Papas geriet beim Blick auf seine goldene Uhr zur kurzen Nebensache, denn der Gedenkbesuch fiel genau auf die immer gleiche Brotzeit meines Onkels. Diese hatte wohl traditionell Vorrang wegen Pilleneinnahme oder so und musste unbedingt auch im Nicht- Bayernland eingehalten werde, also auch bei uns Dohaim.

 

Da saß der Onkel nun am gedeckten Tisch auf dem Platz meines vor einem Jahr verstorbenen Vaters, lobte „dankbar“ die recht guten Backkünste meiner Mutter, schob die nur halb ausgetrunk-ene Kaffeetasse ein wenig Beiseite und betrachtete das eigens nur für besondere Feste aus dem verschlossenen Wohnzimmerschrank hervorgeholte Silberbesteck, strich zart über das vor ihm liegende stumpfe, inzwischen in die Jahre gekommene unbenutzte & schwarzverzierte Messer und verlangte nach einem kühlen Bier als Zwischengang, da er einen trockenen Hals verspürte.

 

Er, der reiche und weise Ratgeber der Restsippe, saß nun am Tisch direkt neben meiner inzwischen einundachtzig jährigen Mutter, die es alleine einfach nicht schaffte, den Durchblick zu behalten, weil ihr einer Sohn mehr den schönen Künsten zugeneigt war. Sie sich hetzte sich nun für den rettenden Klardenker aufopfernd lächelnd in der Küche ab, um es ihm so gut es eben ging, bei uns daheim so recht zu machen, dass es ihm an Nichts fehlte.

 

Was für ein trügerisch harmonisches Witwer trifft Witwe „Win - Win Bild“ im Hause meines Vaters, welches er in den 50iger Jahren mühselig im Schweiße seines Angesichts über Jahre Stein auf Stein so gebaut hatte, dass für alle damals mehr als genug Platz war. Dieses unser Haus war sein Lebenswerk!

 

Es war nur eine Frage der ersten kurzen Sättigung, bis mein böser Onkel wie immer zu diesem Zeitpunkt in bajuwarischer Stammtischmanier - Laune ungefiltert begann, erste unzensierte Hasssprüche gegen alles, was seinen Reichtum auch nur im Ansatz gefährden könnte, raus zu hauen. Zog er früher noch über die Ossis her, waren es seit 2015 die Flüchtlinge, die ihm die Arbeit nahmen. Dass er während dieser Zeit schon an die 100 Häuser reihenweise aus dem Boden stampfte und über teuren Mieteinnahmen reicher und reicher wurde, vergaß er natürlich nicht nebenbei stolz in einer Endlosschleife punktuell aber regelmäßig mal eben einzuwerfen. Er der Häuslebauer hatte es soweit gebracht wie kein  anderer aus der gesamten Verwandtschaft und dass stellte er so schamlos zur Schau, dass es einfach nur unverschämt war. 

 

Er, der Macher, hatte es nun auf meines Vaters Platz geschafft und betonte, selbstlos helfen zu wollen, wenn es uns mal wieder nicht so gut ging wie eben jetzt! Er saß nicht einfach da, er thronte vor uns auf einem zusätzlichen Sitzkissen, damit er größer wirkte als er in Wirklichkeit war, gerufen vom SOS - Hilferuf meiner Mutter, um sich als Retter der Nächstenliebe zu gebaren und in dieser Haltung zu suhlen. Horror!

 

Also saßen wir andächtig, so wie er es liebte, um ihn herum und schenkten ihm den Messias - Dackelblick, den er so auskostete, das sich seine Wangen leicht röteten, so ergriffen war er von  seiner selbst gewählten Jüngerschar.  Er, der von sich glaubte, der beste Onkel ever zu sein, war nun bereit, sein Wunder an uns zu vollbringen!

 

Mit großer Geste zog er etwas umständlich sein eigenes grünes edles Stofftuch aus seiner Weste, wischte es tupfend über seine vor Schweiß triefende Stirn. Dann holte er tief Luft und alle hielten ihren Atem an, nicht wissend was als Nächstes geschehen würde. Gedanklich bereitete er sich noch einmal kurz vor, um dort anzusetzen, wo es dem Rest der Familie weh tat. 

 

Den Spannungsbogen zog er somit schon beim Ausatmen leise und ruhig an, um uns dann mit sehr ernster Miene seine Sicht der furchtbaren Lage auszubreiten, wie es mit unserem inzwischen maroden Haus vom desolaten Fundament her nur weiter gehen könne, um uns all die schlimmen Sorgen durch einen von ihm hervorgezauberten soliden Finanzplan so zu stemmen, dass wir wieder in Ruhe schlafen könnten, wenn wir nur willig wären für ein großes Opfer!

 

War sein Gesicht schon am Abend vorher bei der Einsicht in die Aktennotlage leicht dunkelrot angespannt unterlaufen, begann sich nun seine Schlagader pulsierend in ähnlichem Farbton seinen Ausführungen schlagartig anzupassen.

 

 Er, der barmherzige Onkel,  redete sich wild gestikulierend in Lösungsrage, weil er es eben besser wusste als alle anderen und  weil er mit seinen 88 Jahren den Durchblick hatte über den meine Mutter wie bereits erwähnt nicht verfügte, weil es nicht ihre Aufgabe gewesen war, sich um den Papierkram zu kümmern, dafür war ja stets der Vater da.

 

Aus Respekt vor dem hohen Alter meines feinen Onkels und aus Angst vor seinen schlimmen Wutausbrüchen versuchten wir ihn, während er weiter Fahrt aufnahm, um uns unsere finanziellen Vergehen vorzuwerfen, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu besänftigen. Meine Mutter drückte ihn einen Underberg in die Hand. In einem Zug schluckte er ohne zu zögern das  Gesöff runter, nur um in nächsten Moment fortfahren zu wollen.

 

Wir ahnten, dass viel auf dem Spiel stand. Sein kostenloser Rat war von unschätzbarem Wert, auch wenn wir teuer dafür bezahlen würden. Es gab keine Alternative zu ihm, dem einen übrig gebliebenen Onkel!

 

Das extra für ihn besorgte Paulaner Bier wurde eingeschenkt mit einer schönen Krone verziert an ihn gereicht. Ein herzhafter Mett- Igel wurde direkt vor seinen Augen schön anzusehen platziert. Meinem Onkel lief beim Anblick der glänzenden rosa weißen Fleischespracht das Wasser im Munde derart zusammen, dass er leicht an den Mundwinkeln triefend zu sabbern begann. Und dann, nach dem ersten Biss mit seinen dritten dennoch vergilbten Zähnen waren sie wieder da,  seine widerlichen Schmatz- Geräusche als Ausdruck höchster Gaumenfreude. Ihm schmeckte es wie es nur einem Bayern schmecken konnte. Und das war so wichtig! Schmatz – schmatz, Prost,  Schluck, Rülps – Bäuerchen, schmatz – schmatz und von vorne.. was für eine unerträgliche Folter! Mir wurde schlecht..

 

Meine Mutter schaute mich besänftigend lächelnd an, reichte an mich, dem Neu- Veganer, den ekelhaften Met - Igel weiter und signalisierte mir zugleich mit ihrem sanft non- verbalen engelsgleichen Nonnen- Blick, dass wir auf einem guten Weg waren, sie den Onkel im Griff hätte und alles nach ihrem Plan laufen würde und ich mitzuspielen & durchzuhalten habe!

 

Und so schmatze er genüsslich sein Mettbrötchen mit dicken Zwiebeln verdrückend und berichtete weit ausholend bei halb geöffnetem Mund, dass er den zweiten Weltkrieg nur deshalb überlebt hätte, weil er es durch seinen eigenen starken Willen geschafft hätte, zu überleben. Nun sei aber die Zeit gekommen… Atempause … Zornesfalte…dass er uns mitteilen müsse, dass schon bald ein weiterer Krieg unmittelbar bevorstehen würde, schlimmer als der zweite! Seine Stimme wurde unangenehm lauter: Ein Krieg, der uns alle treffen würde und er es als seine heilige Pflicht ansah, uns aufklären zu müssen, uns, seine neue Familie, weil wir so dumm seien, dass wir nicht wüssten, was für eine Katastrophe sich bald über uns und unser Heim entladen würde.

 

Beten sollten wir, denn am Ende würde das höchste Gericht über unsere Taten urteilen. Wir alle, also meine Mutter und ich, die wir am Tische säßen, wären Sünder!  Er natürlich nicht! Schließlich hätte er der Kirche mehrere Hunderttausend Euro gespendet, die er dankend quittiert bekam,  sei immer fromm und bescheiden gewesen und seine steinreiche Baufirma- Weste sei blütenweiß rein.

 

Während er sein böses Gift der Schuld über uns ausschüttete, erinnerte mich sein Anblick bei näherer Betrachtung mehr als eindeutig vom Verhalten  & Aussehen her an eine typisch grunzende Leitfigur aus Orwell`s Farm der Tiere. Er saß da, verschlang ein weiteres halbes Schweinemett-brötchen und prustete die nicht verschlungenen Reste in seinem Mund mit seiner feuchten Aussprache biergetränkt über den Tisch auf uns aus! „Wacht endlich auf!“, schrie er uns flehend entrückten Blickes entgegen.

 

Er, der so stolz darauf war, dass er damals während einer Privat Audienz dem zurückgetretenen Papst Ratzinger die Hand hatte schütteln dürfen, gebar sich vor uns mit martialischem Bick, was keinerlei Aufbegehren oder Zweifel zuließ. Jetzt bloß nicht seine Aussage hinterfragen! Seine blutunterlaufenen Augen trafen uns vorwurfsvoll mitten ins Mark!

 

Derart schonungslos konfrontiert sahen wir, was er nicht sah:  der leibhaftige Wahnsinn saß vor uns an unserem Tisch und wir mussten ihn einfach nur ausweglos ertragen & über uns ergehen lassen.

 

Dieser böse Mann hatte unser Haus der Liebe mit Aussicht auf Fortbestehen mit seinem Urteil soeben zerstört! Ein nicht zu ertragendes schlimmes Betroffenheits- Schweigen wie wir es so in unserem Hause nicht kannten, gab uns Betroffenen das Gefühl, dass wir gerade beim letzen Abendmahl saßen und als Henkersmahlzeit gab es die kläglichen Reste eines abgefressenen Mett- Igels! Das Haus verkaufen? Meine Mutter sollte entwurzelt ihren letzten Lebensabschnitt in einem fremden, kleineren Haus verbringen! Das sollte die Lösung sein???

 

Wir wussten nun, dass wir Schuld am Verfall des Hauses waren und nun, wo die Fakten auf dem Tisch lagen, war es zu spät für Buße! Gott hatte sein Urteil gefällt und der jüngste Tag wurde uns soeben zeitnah in Aussicht gestellt, von ihm, dem Überbringer in Gestalt eines verantwortlichen Onkels als Anwalt der Familie.  

 

„Oh Vater, wieso hast du uns nur so früh verlassen?“, dämmerte es mir während dieser ewig erscheinenden Schweigeminute. Deprimiert betrachtete ich meinen leeren Teller. Auch meine Mutter wagte es nicht, den verlegen gesenkten Blick zu heben, während mein Onkel nach einem weiteren Mettbrötchen griff. Und wieder drauf los schmatzte!

 

Dieses unerträgliche Schmatz- Geräusch! Das war es, was ihn so böse machte. Er, der ewig Gestrige, hatte diese Macht, dass seine Worte gepaart mit seinem durchdringenden Blick uns zu Menschen letzter Klasse degradierte, die er im nächsten Moment bereit war, zu zertreten. Alles hing von seiner Gnade ab, er der fiese Nostradamus aus Bayern!

 

Ich hielt es nicht länger aus und setzte an, ihm zu vermitteln, dass es einen Grund dafür geben würde, warum ich endlich  vor zwei Jahren aus der Kirche aus.. Meine Mutter fuhr mir über den Mund, strafte mich mit einem eindringlichen Blick ab, riss das Wort verzweifelt an sich, und fragte ihn, meinen schmatzenden Onkel mit erstickter Stimme,  ob er noch mehr Pfeffer auf sein Mett wolle! 

 

Der barmherzige Onkel hatte sein Ziel erreicht, trank genüsslich sein Paulaner aus, rülpste zufrieden vor sich hin und lächelte uns beide versöhnlich an: Die Familie sei ihm ja so wichtig &  wir hätten ja nur noch uns  - und ihn! Er würde sich wirklich gerne großzügig erkenntlich zeigen und das Geld für die Instandhaltungskosten des Hauses vorerst über ein günstiges Darlehen ohne Risiko vorfinanzieren. Amen.

 

Meine Mutter schluchzte vor Erschöpfung und nahm ihn sogar dankbar herzlichst in den Arm. Ich hingegen schämte mich und kämpfte mit den Tränen. Dieser mir so fremde Onkel, der auf seine alten Tage nicht mehr ganz so gut hören konnte,  klopfte mir lachend auf die zarte Schulter und forderte mich ganz väterlich auf, das Thema wechselnd, dass es aber langsam Zeit für mich wäre, die richtige Frau an meiner Seite zu finden!  Ob ich nicht etwas zu berichten hätte, was ihn freuen würde….? Ich rang suchend nach Worten und mir entfuhr tatsächlich nur als sarkastische Antwort auf seine unmittelbare Frage, dass ich bei einer Thailänderin gewesen sei, zur Fußpf… Er fiel mir ins Wort und stieß ein Stoßgebet gen Himmel: „Na Gott sei Dank! Eine Thailänderin, na mir soll`s recht sein, Junge. Hauptsache sie kann gut kochen!“  Er lachte feixend vor sich hin , klopfte mir dreimal auf die Schulter, schaute ganz sanft und meine Nähe suchend zu mir hinüber und flüsterte mir ins Ohr: „Gut gemacht, ich bin ja so stolz auf dich!“

 

So viel zur Stimmung  in der neuen Familie -  genau ein Jahr nach Papa`s Tod ;((((  Du fehlst so sehr!!!!

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